Das Psychologische Institut (Forschungsgruppe: Kognitive Neuropsychologie) der Universität Zürich setzt in verschiedenen Experimenten auf Virtual Reality, wenn es um die Frage der Körper- und Schmerzwahrnehmung geht. Bandara hat das Team von Jasmine Ho dabei unterstützt, eine VR-Experience für das Schmerzempfinden bei Patienten zu entwickeln. Im Interview erklärt die Forscherin, weshalb Virtual Reality in der Neuropsychologie eingesetzt wird und welche Erkenntnisse daraus gezogen werden können.

Warum setzt ihr in Euren Experimenten auf Virtual Reality?
Uns interessieren vor allem zwei Aspekte von Virtual Reality (VR): das Gefühl der Präsenz und der Verkörperung. Das psychologische und neurologische Gefühl der «Präsenz» (das Gefühl zu haben, an einem Ort zu sein und sich dort zu befinden) ist stark in (immersiver) VR. Obwohl wir in unserem täglichen Leben nicht unbedingt viel daran danken, teilt uns unser Hirn mit dieser doch sehr grundlegenden Erfahrung mit, dass wir uns an einem bestimmten Ort befinden. Das heisst, wenn wir eine VR Brille tragen, fühlen wir uns präsent in dieser virtuellen Umgebung. Ein anderer wichtiger Teil unseres Selbst, sowie in VR (wenn man einen virtuellen Avatar verkörpert), ist das Gefühl der Verkörperung. Zum einen haben wir das Gefühl, dass unser Körper uns gehört und dass unser Körper ein eigener und separater Körper als der Körper von anderen ist. Aber wir haben auch das Gefühl, eine gewisse Kontrolle über unseren Körper zu besitzen und diesen nach unserem Willen bewegen zu können. Das Gefühl der Präsenz und der Verkörperung haben einen grossen Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Welt, sowie auch auf die Wahrnehmung unseres Selbst. Das einzigartige an VR ist, dass man die Welt – oder eben auch unseren Körper – auf eine Art und Weise verändern kann, wie es in der physischen Realität nicht möglich wäre und dass solche visuelle Veränderungen durch das Gefühl der Präsenz und der Verkörperung unser Empfinden beeinflussen kann. Der Einfluss einer solchen veränderten Körperwahrnehmung auf die Kognition und Verhalten zu untersuchen, ist für die Grundlagenforschung sowie auch für therapeutische Anwendungen relevant.
Wo siehst du den grössten Nutzen von Virtual Reality in der Neuropsychologie?
Der Nutzen von VR liegt in der Möglichkeit, VR gezielt für Szenarien einzusetzen, die in der physischen Realität entweder nicht möglich wären, oder in VR auf eine weniger riskante Weise umgesetzt werden können. Ein Beispiel hierfür wäre, dass Menschen mit gewissen Angststörungen (z.B. Spinnenangst) in VR diesen Ängsten auf eine gezielte Weise ausgesetzt werden können. Man hat in VR viel mehr Kontrolle über den Stimulus. So kann man z.B. die Spinne gezielt programmieren, wie schnell sie sich nähert oder wo sie genau stehen bleibt. Ein anderer und für unserer Forschungsgruppe interessanter Ansatzpunkt ist, den Körper in VR so zu verändern, wie es mit unserem eigenen Körper nicht möglich wäre. Für unser derzeitiges Projekt, welches von Bandara entwickelt wurde, testen wir gerade, ob Körperillusionen durch verkörperte virtuelle Avatare bei Patienten mit chronischen Schmerzen eingesetzt werden können, um deren Körperwahrnehmungsstörungen zu verbessern und somit Schmerzen zu reduzieren. Den einzig grössten Nutzen von VR in der Neuropsychologie zu definieren wäre somit schwierig, denn ich sehe ein Potenzial von VR in mehreren Bereichen der Neuropsychologie, sofern man VR auch gezielt einsetzt – von Grundlagenforschung bis Therapie.
Was sind die grössten Herausforderungen bei Nutzung von VR in wissenschaftlichen Studien?
In unserem Labor forschen wir vor allem um Themen, die sich mit der Körperwahrnehmung befassen. Somit setzen wir – im Gegensatz zu einigen anderen, die mit VR arbeiten – virtuelle Avatare ein, um die Körperwahrnehmung gezielt zu verändern. Die Benutzung von solchen Avataren ist allerdings leider (noch) nicht so simpel, da wir ein passendes Tracking der Bewegungen zwischen dem Avatar und eigenem Körper benutzen, um eine gefühlte Verkörperung des Avatars zu erzielen. Gewisse Systeme wie z.B. Oculus tracken die Hände, aber nicht den Rest des Körpers. So muss mittels inverser Kinematik abgeschätzt werden, wo sich sozusagen der Rest des Körpers befindet. Andere Systeme wie die HTC Vive benutzen physische Trackers, die man z.B. an den Händen und Füssen befestigen kann. Diese Methoden funktionieren relativ gut, aber sind noch nicht so ausgereift, dass das Tracking ohne Probleme funktioniert. So kann der virtuelle Körper manchmal etwas eigenartig oder unproportional wirken, oder bewegt sich auf eine etwas unnatürliche Weise. Wenn dies während der Datensammlung in einer Studie vorkommt, ist es natürlich weniger ideal, da es allenfalls das Verhalten oder Denkweise des Probanden beeinflussen könnte. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass gewisse Menschen einfach etwas sensibel auf VR reagieren können. Das heisst, VR kann in manchen Fällen z.B. Übelkeit oder Schwindel auslösen. Dies passiert zum Glück ziemlich selten. Aber bei der Forschung mit Patienten, wie u.a. solchen mit chronischen Schmerzen, kann es durchaus vorkommen, dass sie sensibel auf das VR-Bild reagieren. Manche erleben vielleicht Kopfschmerzen vom Flimmern in VR, oder neigen zur Übelkeit als Folge von Kopfbewegungen in VR, oder reagieren besonders sensibel auf auch nur kleine Unstimmigkeiten zwischen dem virtuellen und physischen Körper.
Was hast du aus diesen Projekten gelernt?
Zum einen habe ich während meinem Doktoratsstudium gelernt, wie erstaunlich veränderbar unser körperliches Selbst ist. Erstaunlich ist auch der Einfluss, den ein verändertes Körperbewusstsein auf unser Verhalten und Denken ausüben kann. VR-Technologien sind hierfür geeignet, das Körperbewusstsein experimentell zu verändern und dessen Wirkungen zu untersuchen. Den Unterschied zwischen «gesunden» Probanden und klinische Populationen darf man auch nicht unterschätzen. Eine auch nur kleine Veränderung am verkörperten virtuellen Avatar kann für gewisse Menschen mit klinischen Störungen eine viel grössere Auswirkung haben, als man es vielleicht erwarten würde.
Was habt ihr mit Virtual Reality bisher erreicht?
In unserem «Körper, Selbst und Plastizität» Lab haben wir schon einige Studien durchgeführt, die den Einfluss der Körperwahrnehmung auf das Verhalten und die Kognition des Menschen untersuchen. Meine Projekte in diesem Lab beinhalteten meistens einen klinischen Aspekt, da mich die therapeutische Anwendung von VR interessiert. So haben wir z.B. in Individuen mit ‘Body Integrity Dysphoria’ (BID) – einer Körperwahrnehmungsstörung, in der die Betroffenen u.a. einen starken Wunsch besitzen, ihr Bein zu amputieren, da sie es nicht als ihr eigenes empfinden – die subjektive Empfindung sowie die neurophysiologischen Korrelate untersucht bei der Verkörperung eines amputierten virtuellen Körpers. Möglicherweise könnte man die Resultate dieser Studie benutzen, um zukünftige Therapiemethoden zu entwickeln für BID. Zudem konnten wir in einem anderen Projekt zeigen, dass ein virtuelles Placebo gegen einen experimentellen Hitzeschmerz genauso wirksam sein kann wie ein physisches Placebo, auch wenn das (virtuelle) Placebo auch «nur» einem virtuellen Avatar verabreicht wird, statt dem eigenen Körper. Aber nicht alle Projekte waren bisher klinisch geprägt: so konnten wir in einer Studie, in der Probanden/-innen einen virtuellen Geschlechtertausch erlebt haben, zeigen, dass Individuen etwas egoistischer handeln, wenn sie virtuell einen Körper des anderen Geschlechts verkörpern. Im derzeitigen Projekt untersuchen wir nun, wie sich Körperillusionen, wie z.B. eine Verlängerung oder Farbveränderung eines virtuellen Körpers sich auf die Körperwahrnehmung und das Schmerzempfinden in Patienten mit chronischen Schmerzen auswirkt. Wir hoffen, damit eine neue und auch nicht-invasive Therapiemethode für Menschen mit chronischen Schmerzen entwickeln zu können.